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exhibition

vernissage
15.3.2024, 18:00

Die Wasseroberfläche schimmert in der Sonne. Jedes sanfte Kräuseln wird zu einem das einfallende Licht brechenden und in alle Richtung streuenden Miniaturprisma. Die Farben wechseln von tiefen Blau- und Grüntönen zu Türkis und Aquamarin, um dann in ein helles Gelb und Karminrot überzugehen. Salzige Wasserpartikel hängen schwer in der feuchten Luft – Perlen, die in die abstrakten Meereslandschaften in Jana Cordeniers gestickten Gemälden gewoben sind. Tides ist bereits die zweite Einzelausstellung der belgischen Künstlerin in der Galerie Michael Janssen. Ihre Arbeiten sind eine Auseinandersetzung mit dem Strukturellen in der Bewegung, das in der Natur so plastisch präsent ist.
Cordenier liebt es, unter freiem Himmel zu arbeiten. Hier kann die Künstlerin eins werden mit ihrer natürlichen Umgebung. „Es ist dann nicht mehr ‚dort die Natur und hier ich‘. Es fühlt sich eher an wie ‚der Fels bin ich, das Meer bin ich, die Pflanze bin ich‘…“, erklärt Cordenier. Sie bezeichnet ihre Arbeiten gerne als „Atmosphären“ – materialisierte Erfahrungen des Körpers, die ihrerseits wieder die Sinne des Betrachters ansprechen. Die Natur ist ihr dabei nicht nur Inspiration, sondern fungiert als Mitgestalterin.
Idee und Konzept für Tides entstanden während einer Griechenlandreise, auf der die Künstlerin eine 10 Meter lange Papierrolle mitführte, um darauf an einer großflächigen Zeichnung zu arbeiten. Durch die Auflage auf den Erdboden nahm das Papier die Lebendigkeit dessen ungleichmäßiger, von Steinen, Fels, Pflanzen und zu Boden gefallenen Zweigen geformter Oberfläche auf. Cordenier will die Landschaft nicht skizzieren. Ihr geht es vielmehr darum, deren Wesen über ihre materiellen Eigenschaften erfassen. Den immensen Farbreichtum der Natur bildet sie in ebenso zarten wie leuchtenden Aquarellfarben ab, die sie auch schon einmal mit einem gefundenen Zweig aufträgt. In einer anderen Arbeit experimentierte die Künstlerin mit Meerwasser, das sie dem frischen Farbauftrag hinzufügte, um dem Papier durch die während des Trocknens hervortretende kristalline Struktur zusätzliche Tiefe zu verleihen. Es waren Feldforschungen wie diese, die zur Grundlage wurden für ihre in der Folge entstandenen Arbeiten, die Gegenstand der aktuellen Ausstellung sind.
So sehr Cordenier das Spontane ihrer Zusammenarbeit mit der Natur auch schätzt, findet die für ihre Arbeiten so charakteristische konzeptionelle Transformation der gezeichneten Landschaftsbilder erst im Atelier statt – in einem sorgfältig komponierten Prozess, der in das Besticken von Leinwand mündet. Cordeniers Interesse an der Stickerei entstand aus ihrem Wunsch nach einer Alternative zum Malen in Öl, nach einer Möglichkeit, ihren Gemälden eine von ihr als zu bedeutsam empfundene Schwere zu nehmen, ihnen mehr Leichtigkeit zu verleihen. Die Künstlerin verwendet Garn aus Baumwolle und handgefärbter Seide, um zarte Bildwirkereien entstehen zu lassen, in denen die dargestellten Landschaften zu einem endlos wirkenden Raum voller visueller Möglichkeiten werden.
Cordenier experimentiert mit verschiedenen Maßstäben und Überlagerungen, mit denen sie den gezeichneten, gemalten und in die feingliedrige Sprache der Stickerei übersetzten Spuren der Natur faszinierende Texturen voller Bewegung und Tiefe hinzufügt, die auf der Leinwand zu atmen scheinen.
Tides ist ein Moment in Bewegung. Die rhythmischen, intuitiven Arbeiten von Jana Cordenier erinnern an das sanfte Rollen von Kieseln inmitten einer in der Nachmittagssonne schimmernden Brandung, bevor sie von den Gezeiten auf den dunklen Meeresboden getragen werden.

Text von Karina Abdusalamova

Jana Cordenier, Untitled (08.2023), 2023, Embroidery on cotton, 180 x 170 cm

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