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exhibition

Hände können ausdrucksstark sein wie Gesichter, so artikulierend wie Sprache. Sie berühren, greifen, quetschen, schlagen, kitzeln, umklammern, streicheln, halten. Sie können Dinge zerstören und reparieren, sie arbeiten und spielen. Was Augen nicht erkennen, ertasten die Hände. Säuglinge greifen, um sich zu orientieren, sie erkunden die Formen von Spielzeugen, die Texturen von Kleidung. Ihre Hände lernen Gewicht und Stabilität der Dinge kennen, sie nehmen Kontakt mit dem Anderen auf, um die Grenze des Selbst festzulegen.

In der Kunstgeschichte spielen Hände eine bedeutende Rolle. Die frühesten bekannten Kunstwerke sin Handabdrücke in Höhlen – Spuren dessen, was wir nur als existenziellen Impuls deuten können, eine Erklärung von Identität und der Flüchtigkeit von Gegenwart. In historischen Gemälden werden Hände zur „Halterung“ von Symbolik. Sie deuten hin auf Beziehungen, Stimmungen und Hierarchien, auf religiöse Sinnbilder und verborgende Absichten.

„Was irren meine Hände zu den Pinseln“ schrieb Rainer Maria Rilke in Das Buch vom mönchischen Leben (1899). Die Frage des Gedichts betrifft nicht Anatomie oder Orientierung, sondern die rätselhafte Richtung und das eigentliche Ziel des schöpferischen Impulses. In vielen der Werke der Ausstellung erscheinen Hände als Metaphern für das Abschweifen und Umherschweifen des Unbewussten. Losgelöste Arme strecken sich wie Sonden aus, sie tasten und suchen mit geheimnisvoller Absicht. Hände formen flackernde Häuser und herabhängende Sträuße, surreale Wortspiele und schattenhafte Spuren. In anderen Arbeiten werden Hände durch Handschuhe ersetzt – schlaffe Abbilder, die, selbst wenn sie leer und reglos da liegen, so wirken, als könnten sie jederzeit zucken, zum Leben erwachen und davonkriechen. Doch es gibt hier auch zutiefst menschliche Hände, schützend um Geliebte geschlungen oder lässig an der Seite des Körpers herabhängend, stehen sie für alltägliche Fürsorge, Intimität und Handlungsmacht, für eine Weise, in der Welt teilzunehmen.

Zusammengenommen werfen die Darstellungen von Händen Fragen über das Verhältnis zwischen Körper und Geist auf und gehen der Suche nach dem Ort, an dem beides zusammentrifft, nach. Wie nimmt ein Gedanke Form im Körper an? Wie gelangt der Gedanke ins Bild. Was weiß der Körper, das dem Geist entgeht? Die Arbeiten erforschen die Hand als Schnittstelle zwischen Innerem und Äußerem, die Absicht in Bewegung übersetzt, ohne immer durch das bewusste Denken hindurchzugehen. Wie Rilkes Gedicht uns erinnert, beginnt Handeln oft nicht mit Gewissheit, sondern mit einem Ausstrecken ins Dunkel.

Mit Werken von Katherine Bradford, Valie Export, Anna Grath, Stefan Hirsig, Stephen Kent, Maximilian Krimse, Aubrey Levinthal, Alex Müller und Fabian Treiber.

Alex Müller Die Suche nach Kiwis, 2018, Ölpastellkreide auf Leinwand, 80 x 90 cm
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