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exhibition

Aus der Wand wächst der Hals einer Giraffe – groteske Jagdtrophäe und zentrales Objekt der Ausstellung. Käthe Kollwitz’ Giraffe ist kein harmloses Tier, sondern groß genug, um Max Beckmann und Andrew Gilbert selbst zu verschlingen. Eine Giraffe im Originalmaßstab, so gefräßig, dass ihr Hals Stützen braucht. Käthe Kollwitz’ Plakat Nie wieder Krieg (1924) war ein Aufruf zur Beendigung von Gewalt – klar, kompromisslos und humanistisch. Ihr Werk übersetzte persönliche Trauer in kollektiven Protest. Max Beckmanns Mappe Gesichter (1919), mit acht Blättern vertreten, zeigt das unmittelbare Nachkriegselend: Gesichter als Masken einer Gesellschaft zwischen Zerstörung und Neuanfang. Besonders Beckmanns Bird’s Hell (1938) dient Andrew Gilbert als Bezugspunkt für sein monumentales Werk The Great Altar of the Martyrs (Beckmann). Wo Beckmann das Grauen des Nationalsozialismus in eine apokalyptische Höllenszene überführte, verwandelt Gilbert diese Vision in eine groteske Prozession: ein Altar aus kolonialer Gewalt, Märtyrertum und politischem Wahn, an dem sich Geschichte selbst opfert. Gilbert führt den Widerstand von Kollwitz und Beckmann ins Heute. In seinen neuen Arbeiten verbindet er Kollwitz’ pazifistische Dringlichkeit und Beckmanns traumatisierte Körper mit den fortdauernden Machtstrukturen von Kolonialismus und militärischer Gewalt. Aus Brokkoli, Popcorn und Bockwurst, aus Fledermäusen, Fröschen und Vögeln erwachsen bei Gilbert Massaker und Märtyrerszenen. Seine Bilder lassen Alltag und Albtraum ineinander übergehen – das  Tierische und Menschliche mischt sich zu einem grotesken Organismus, in dem Geschichte weiterfault. Mad Max Beckmann erscheint im einem Kostüm aus dem Film Mad Max 2 mit entblößtem Hintern und Fuchsschwanz; im Hintergrund wird eine Figur hinter einem Motorrad über Berlin Alexanderplatz geschleift. Beckmann steckt in einem amerikanischen Burger, an den Stiefeln Karotten verschnürt. Der explodierende Kopf John F. Kennedys geformt aus einer Deutschlandkarte mit den Wahlergebnissen von 2025 – offensichtlich Nachwirken der deutsch-deutschen Teilung. Seine grotesken Bildwelten – durchzogen von NATO-Emblemen, kolonialen Fantasien und überzeichneten Körpern – zeigen einmal mehr, dass Krieg und Unterdrückung ihre Ursachen in der Vergangenheit haben und bis in die Gegenwart reichen. Die Giraffe frisst all diese widersprüchlichen Energien, auch die im Künstler selbst und spuckt sie als bissige Allegorie wieder aus: Kunst als Nahrungskette, in der Geschichte nicht vergeht, sondern weiterverdaut wird. Was bleibt, ist Käthe Kollwitz – und die immerwährende Frage: Wie weit geht jeder einzelne für die Demokratie. Es ist seit 2010 die achte Einzelausstellung von Andrew Gilbert mit der Galerie.

Andrew Gilbert: MAD MAX BECKMANN
Watercolour, acrylic and fineliner on paper · 70 x 100 cm · 2013

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