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exhibition

IS THIS REALLY ME!, der Titel von Filip Henins zweiter Einzelausstellung, stammt aus der letzten Szene eines Films, den der Joy Division- Frontmann Ian Curtis 1980 im TV sah, bevor er sich zwei Stunden später das Leben nahm: Stroszek, Werner Herzogs Film von 1977, ist eine grandiose, melancholische und auch komische Ballade des Scheiterns. Er erzählt die Geschichte des gerade aus der Haft entlassenen Straßenmusikers Stroszek, der Prostituierten Eva und deren alten Nachbarn Scheitz, die von West-Berlin in die USA fliehen. Sie alle sind Außenseiter, Träumer, werden gemobbt, verachtet und suchen den amerikanischen Traum. Doch sie können dem Druck des Kapitalismus nicht standhalten. Nach einem missglückten Überfall auf einen Friseursalon bleibt nur noch Strozek übrig, der in ein Cherokee-Reservat flieht. Allein, mit einem Gewehr bewaffnet, setzt er sich in die Seilbahn eines heruntergekommenen Vergnügungsparks. Auf der Rückseite seiner Gondel prangt dieses Schild: IS THIS REALLY ME! Die Seilbahn fährt hoch, dreht am Gipfel, und dann geht es wieder abwärts. Er fährt eine Runde, bevor er sich dann erschießt. Bei Herzog ist das eine fast Brecht-artige Angelegenheit und zugleich surreale Burleske, zu der eingesperrte Hühner und Kaninchen auf dem Rummel mit ihren Mini-Instrumenten den Soundtrack liefern.

Die Metapher dieses zermürbenden Kreislaufs, das Zerbrechen an einem unbarmherzigen ökonomischen System, das Außenseitern und fragilen Menschen keine Chance gibt, diesen letzten Moment, in dem Scheitern und Selbsterkenntnis zusammenfallen, überträgt Henin auf den Akt der Malerei, die Rolle des Künstlers, den spätkapitalistischen Kunstbetrieb. Dabei gilt auch Henins Interesse dem Zerbrechlichen, Zarten, Marginalisierten, jenen Menschen, die nicht mitmachen wollen oder können, die einfach auf der Strecke bleiben. Auf Henins Gemälden verschwinden die Figuren oft im Gras, in der Erde, schlafen wie Tote, verwesen oder zappeln wie die Skelette auf James Ensors satirischen Bildern durch die Gegend. Und wie bei Herzog ist das ständige Scheitern auch hier die Quelle für Resilienz, Widerstand, Kreativität. Scheitern stärkt den Willen, einen eigenen Weg zu finden – oder den Wunsch, einfach in Ruhe gelassen zu werden wie die rauchende, non-binäre Person auf „A Rest“ (2024).

Scheitern, das ist in der Malerei von Henin ein ganz wichtiges Moment, in dem die Komposition oder das Arrangement in sich zusammenfallen, wie ein Soufflee, in dem man das Ergebnis aus dem Auge verliert, in dem man sich verirrt, plötzlich vor etwas steht, was man nicht gewollt hat. Scheitern heißt, dass sich das Bild, die Erinnerungen, die Emotionen verselbstständigen – aus dem Bedeutsamen, dem was da gesagt oder gemalt werden sollte, entfliehen, wegtreiben ins Banale, Peinliche, Abgefuckte, Depressive, Perverse. Genau diese ambivalenten Momente, die auch einen Durchbruch bedeuten können, interessieren Henin. Für ihn bedeutet das auch, mit erschöpften, belasteten Sujets wie Landschaft zu arbeiten, die sich aus Kindheitserinnerungen, dem Symbolismus, der frühen Moderne zusammenfügen. Immer wieder tauchen hohe, ballonförmige oder spitz zulaufende Baumformen auf, die von Pappeln in der Eifel inspiriert sind, wie auch die sanft ansteigenden Hügel, oder weiten Horizonte, die in seinen Bildern nachhallen.

Dann sind da Palmen, der Inbegriff von tropisch-warmen Klima, von Reisen, Tourismus. Palmen sind auch Symbol für das Zeitalter der Plantagen, des Kolonialismus, des Plantagozäns oder des Kapitalozäns, wie es marxistisch-feministische Anthropologinnen und Theoretikerinnen wie Donna Haraway oder Anna Tsing nennen. Sie meinen damit, dass die Klimakrise und auch die globale Ungleichheit in der Logik der ökologischen Modernisierung, Homogenität und Kontrolle verwurzelt sind, die auf historischen Plantagen entwickelt wurden. Zu dieser Logik gehört auch, Menschen, Tiere, Pflanzen aus ihrem Habitat zu reißen, massenhaft in eine völlig andere Umgebung zu verpflanzen, zu isolieren, zu „entfremden“ und industriell auszubeuten. Oder „exotische“ Kulturen zu plündern, Stile und geraubte Kunstwerke in eine weiße Moderne einzuverleiben.

Henin deutet diesen Kontext in Bildern wie „Stolen from You“ (2024) oder „Holiday in“ (2024) an, diese Ausbeutung und Entfremdung, die die historische Grundlage unserer Kultur ist. Zugleich ist dies in seiner Malerei ein innerer, existenzieller Zustand. Bei Henin bekommen die Baumkronen der Palmen etwas Tentakelartiges, Insektenhaftes, eine Verwandtschaft mit den Spinnen-Mamans von Louise Bourgeois. Das Weiche, Feminine, Nicht-Binäre, Sexualisierte lauert und rebelliert überall in diesen Endzeitlandschaften. Sie können ausdörren, wie eine kahle Ballonplantage dastehen, durch die Gerippe geistern wie auf „Play dead“ (2024), überfluten wie auf „Thoughts“ (2024). Sie können hinunterführen, in wagnerianische, freudianische Tiefen wie auf „Sneaking down“ (2024). Doch erhaben wird es nie. Flugzeuge setzen zur Landung an, es wird gecruist, Menschen sammeln sich auf „If you ask“ in der Dämmerung um ein Auto unter diesen merkwürdigen Riesenpappeln, in dem ein Paar auf der Vorderbank fickt, während ein Jugendlicher auf dem Rücksitz unbeteiligt in die Menge blickt. Dieser amerikanische Traum ist ein David Lynch-Film. Henins Landschaften sind unberechenbar, komisch, prekär. Und in diesem Prekären können sie unglaublich melancholisch und schön sein, wie dieser Moment, der kippt, vielleicht das Ende oder eine Offenbarung ist.

Text: Oliver Koerner von Gustorf

Filip Henin: Waterfall, 2024, Öl auf Leinwand, 40 x 30 cm  

Installations- und Reprofotografie: © Roman März

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